Klaus FINKEL
Casestudy
DER FALL 'PETER'
Peters Vater war Mitglied einer religiösen Sekte, Arbeiter, streng erzogen, litt unter einem irreparablen Sprachfehler und befand sich in psychiatrischer Behandlung ("Hat den Teufel gesehen und geröchen"). Peters Mutter verließ nach 8 Suicidversuchen mit unbekanntem Ziel die Familie und ist seither nicht wieder aufgetaucht. Als Peter 6 Jahre alt war, wurden die Eltern geschieden. Peter wuchs zeitweise bei seiner Großmutter auf, die starb als er 10 Jahre alt war und seither habe es nach Peters Aussage "bei ihm angefangen".
Von einer Erziehungsberatungsstelle wurde zu dieser Zeit eine erhebliche neurotische Fehlentwicklung, eine Sprachstörung, sein Außenseitertum und aggressives Verhalten festgestellt. mit 15 Jahren kam er in ambulante psychiatrische Behandlung und wurde 2 Jahre später in eine kinder- und jugendpsychiatrische Klinik eingewiesen mit der Diagnose Paranoia durch zeitweise wahnhafte Identifizierung mit Dracula. Peter selbst gibt bei seiner Einweisung an, daß er wegen der Art, wie er sich Freunde gesucht hätte, hier sei. Er möchte allen Menschen Angst machen und seit er Dracula sei, habe er selbst keine Angst mehr. Peter wurde immer wieder ohne sichtbaren Erfolg mit Psychopharmaka behandelt, die schließlich abgesetzt wurden. Von Ärzten und Psychologen wurden mit ihm zahlreiche Gespräche geführt.
In der Musikgruppe saß er am liebsten an der großen Pauke und spielte sehr laut mit mächtiger Ausstrahlung. Thematisch interessierte ihn am meisten Geistermusik und die anderen Kinder waren von ihm so beeindruckt, daß sie, in seinen Bann gezogen, häufig Geistergeschichten erfanden und diese im Rahmen thematisch gestalteter Improvisationen auf der Ebene gruppendynamischen Trainings musikalisch ausgestalteten und von Fall zu Fall (- um den unerhörten Bewegungsdrang und das große Bedürfnis der Patienten, ihre innere Unruhe nicht nur über ein Instrument, sondern auch verbal und motorisch auszudrücken, abzureagieren -) auch szenisch darstellten.
Peter hatte schon länger den Wunsch geäußert, eine Geschichte über "Dracula" zu spielen, was schließlich von allen akzeptiert wurde. Erstaunlicherweise brachte er schon in der darauffolgenden Stunde seine Geschichte "Mein Leben als Dracula" aufgeschrieben mit und las sie unter großer Aufmerksamkeit aller vor.
Peters Identifizierung mit dieser Horrorfigur begann mit einem Fernsehfilm. Er beschäftigte sich danach intensiv mit Dracula und schlüpfte erstmals zum Karneval in eine inzwischen gekaufte Draculaverkleidung. Diese nahm er auch auf eine Klassenfahrt mit und erschreckte seine Schulkameraden durch einen mitternächtlichen Auftritt. Der "Erfolg" ermutigte ihn, einige Nächte später außerhalb der Jugendherberge nächtliche Spaziergänger und Heimkehrer zu erschrecken. Die Schlagzeile der örtlichen Presse "Ist Dracula unter uns?" hob nicht nur sein Selbstbewußtsein, sondern verschaffte ihm auch unter den Schulkameraden, die inzwischen von seinem Spiel wußten, größten Respekt. Häufigere nächtliche Eskapaden gleicher Art gipfelten schließlich in einem Auftritt Draculas am hellen Tage in der Schule. Peter sonnte sich in der Bewunderung der älteren Mitschüler und der ängstlichen Distanz der jüngeren vor ihm.
Nach einem weiteren Auftritt am hellen Tage in der Schule veranlasste die Schulleitung nach einem Test des Schulpsychologen eine psychiatrische Behandlung. Bis hierher entspricht die Schilderung der Realität, die nachfolgenden Inhalte entsprangen der paranoiden Phantasie Peters.
Von dieser Zeit an wachte Peter regelmäßig nachts um 12.00 Uhr auf und verspürte den Drang Dracula zu spielen. Eines Nachts stank, als er aufwachte, sein Zimmer nach Schwefel und "in der Tür stand etwas ganz Großes bis zur Decke und brannte wie Feuer und im Feuer waren zwei schwarze Augen". Das Etwas gab ihm eine Spritze und sagte, es sei nun überzeugt, daß er, Peter, Dracula sein könne und nun dürfe er Dracula für immer sein. Danach konnte sich Peter nachts zwischen 12 und 1 Uhr in eine Fledermaus verwandeln. Er hatte nur noch Durst auf Blut. Jede Nacht biß er als Fledermaus nächtlichen Spaziergängern in den Hals und trank deren Blut. Nach vielen Nächten wurde er "von Über 100 Polizisten auf einem Friedhof gefangen". Weil er noch minderjährig war, kam er nicht ins Gefängnis, sondern in eine Klinik. Die Ärzte fanden zwar nichts, dennoch blieb er in der Klinik. Er bekam dort eine Medizin, damit er kein Blut mehr zu trinken brauchte. Auch fand er in der Klinik zum ersten Mal Freunde. Mit denen machte er viel Blödsinn. Trotzdem blieb er Dracula und weihte die Freunde in das Geheimnis ein. Immer wenn ein Gewitter war, wollte Peter als Dracula raus aus der Klinik und Blut trinken. "Aber weil es so wenige Gewitter gab, mußte ich halt andere Sachen trinken, aber ich bin immer noch Dracula."
Neben der kathartischen Wirkung bereits des Aufschreibens der Geschichte zeigt Peters Schluß, daß offensichtlich erste Behandlungserfolge erzielt worden waren. Aufgabe war es nun, aus Peters Geschichte ein Elementares Musiktheater mit psychoanalytischer Gewichtung zu gestalten, an dem alle Kinder ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen entsprechend mitspielen und sich ausdrücken konnten. Ein Spiel, das sich scheinbar nur um das Leben eines Jungen dreht, beinhaltet viele Momente, in denen auch die anderen Kinder sich durch die Wahl ihrer Rolle mit Erlebnissen aus ihrem Leben auseinandersetzen können. (So spielte ein Junge Peters Vater und es war in der Art - wie er Peter im Spiel behandelte - viel über seine eigene Beziehung zum Vater zu erfahren.) Um für solche Beobachtungen und deren Auswertung genügend gerüstet zu sein, wurde die Mitwirkung eines Psychoanalytikers im Musiktheaterspiel ins Auge gefaßt. Als Bezugsperson wurde dieser von der Gruppe akzeptiert und als Mit-, spieler zugelassen.
Klaus Finkel © 1980
MusicAnd BASICS
Von einer Erziehungsberatungsstelle wurde zu dieser Zeit eine erhebliche neurotische Fehlentwicklung, eine Sprachstörung, sein Außenseitertum und aggressives Verhalten festgestellt. mit 15 Jahren kam er in ambulante psychiatrische Behandlung und wurde 2 Jahre später in eine kinder- und jugendpsychiatrische Klinik eingewiesen mit der Diagnose Paranoia durch zeitweise wahnhafte Identifizierung mit Dracula. Peter selbst gibt bei seiner Einweisung an, daß er wegen der Art, wie er sich Freunde gesucht hätte, hier sei. Er möchte allen Menschen Angst machen und seit er Dracula sei, habe er selbst keine Angst mehr. Peter wurde immer wieder ohne sichtbaren Erfolg mit Psychopharmaka behandelt, die schließlich abgesetzt wurden. Von Ärzten und Psychologen wurden mit ihm zahlreiche Gespräche geführt.
In der Musikgruppe saß er am liebsten an der großen Pauke und spielte sehr laut mit mächtiger Ausstrahlung. Thematisch interessierte ihn am meisten Geistermusik und die anderen Kinder waren von ihm so beeindruckt, daß sie, in seinen Bann gezogen, häufig Geistergeschichten erfanden und diese im Rahmen thematisch gestalteter Improvisationen auf der Ebene gruppendynamischen Trainings musikalisch ausgestalteten und von Fall zu Fall (- um den unerhörten Bewegungsdrang und das große Bedürfnis der Patienten, ihre innere Unruhe nicht nur über ein Instrument, sondern auch verbal und motorisch auszudrücken, abzureagieren -) auch szenisch darstellten.
Peter hatte schon länger den Wunsch geäußert, eine Geschichte über "Dracula" zu spielen, was schließlich von allen akzeptiert wurde. Erstaunlicherweise brachte er schon in der darauffolgenden Stunde seine Geschichte "Mein Leben als Dracula" aufgeschrieben mit und las sie unter großer Aufmerksamkeit aller vor.
Peters Identifizierung mit dieser Horrorfigur begann mit einem Fernsehfilm. Er beschäftigte sich danach intensiv mit Dracula und schlüpfte erstmals zum Karneval in eine inzwischen gekaufte Draculaverkleidung. Diese nahm er auch auf eine Klassenfahrt mit und erschreckte seine Schulkameraden durch einen mitternächtlichen Auftritt. Der "Erfolg" ermutigte ihn, einige Nächte später außerhalb der Jugendherberge nächtliche Spaziergänger und Heimkehrer zu erschrecken. Die Schlagzeile der örtlichen Presse "Ist Dracula unter uns?" hob nicht nur sein Selbstbewußtsein, sondern verschaffte ihm auch unter den Schulkameraden, die inzwischen von seinem Spiel wußten, größten Respekt. Häufigere nächtliche Eskapaden gleicher Art gipfelten schließlich in einem Auftritt Draculas am hellen Tage in der Schule. Peter sonnte sich in der Bewunderung der älteren Mitschüler und der ängstlichen Distanz der jüngeren vor ihm.
Nach einem weiteren Auftritt am hellen Tage in der Schule veranlasste die Schulleitung nach einem Test des Schulpsychologen eine psychiatrische Behandlung. Bis hierher entspricht die Schilderung der Realität, die nachfolgenden Inhalte entsprangen der paranoiden Phantasie Peters.
Von dieser Zeit an wachte Peter regelmäßig nachts um 12.00 Uhr auf und verspürte den Drang Dracula zu spielen. Eines Nachts stank, als er aufwachte, sein Zimmer nach Schwefel und "in der Tür stand etwas ganz Großes bis zur Decke und brannte wie Feuer und im Feuer waren zwei schwarze Augen". Das Etwas gab ihm eine Spritze und sagte, es sei nun überzeugt, daß er, Peter, Dracula sein könne und nun dürfe er Dracula für immer sein. Danach konnte sich Peter nachts zwischen 12 und 1 Uhr in eine Fledermaus verwandeln. Er hatte nur noch Durst auf Blut. Jede Nacht biß er als Fledermaus nächtlichen Spaziergängern in den Hals und trank deren Blut. Nach vielen Nächten wurde er "von Über 100 Polizisten auf einem Friedhof gefangen". Weil er noch minderjährig war, kam er nicht ins Gefängnis, sondern in eine Klinik. Die Ärzte fanden zwar nichts, dennoch blieb er in der Klinik. Er bekam dort eine Medizin, damit er kein Blut mehr zu trinken brauchte. Auch fand er in der Klinik zum ersten Mal Freunde. Mit denen machte er viel Blödsinn. Trotzdem blieb er Dracula und weihte die Freunde in das Geheimnis ein. Immer wenn ein Gewitter war, wollte Peter als Dracula raus aus der Klinik und Blut trinken. "Aber weil es so wenige Gewitter gab, mußte ich halt andere Sachen trinken, aber ich bin immer noch Dracula."
Neben der kathartischen Wirkung bereits des Aufschreibens der Geschichte zeigt Peters Schluß, daß offensichtlich erste Behandlungserfolge erzielt worden waren. Aufgabe war es nun, aus Peters Geschichte ein Elementares Musiktheater mit psychoanalytischer Gewichtung zu gestalten, an dem alle Kinder ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen entsprechend mitspielen und sich ausdrücken konnten. Ein Spiel, das sich scheinbar nur um das Leben eines Jungen dreht, beinhaltet viele Momente, in denen auch die anderen Kinder sich durch die Wahl ihrer Rolle mit Erlebnissen aus ihrem Leben auseinandersetzen können. (So spielte ein Junge Peters Vater und es war in der Art - wie er Peter im Spiel behandelte - viel über seine eigene Beziehung zum Vater zu erfahren.) Um für solche Beobachtungen und deren Auswertung genügend gerüstet zu sein, wurde die Mitwirkung eines Psychoanalytikers im Musiktheaterspiel ins Auge gefaßt. Als Bezugsperson wurde dieser von der Gruppe akzeptiert und als Mit-, spieler zugelassen.
Klaus Finkel © 1980
MusicAnd BASICS